Das Rätsel des Opfers
Die verschwundene Truhe
Andreas Rauch
Das Einstein-Jahr 2005 erinnert an den
50.Todestag des weltbekannten Physikers, Humanisten,
Nobelpreisträgers und emigrierten deutschen Juden. Für den
Berliner Schriftsteller Ulrich Woelk selbst
promovierter Physiker ist dieses Jubiläum der Aufhänger
für seine Sommererzählung Einstein on the Lake.
Woelk führt in dieser Novelle vier Charakteristika seiner
bisherigen Romane zusammen: Politik, Krimi, Liebe und eine Suche nach
dem Sinn des Lebens. Anselm Stöckl, seine Freundin Gesine und
Anselms bester Freund Bernie, aus dessen Perspektive die Geschichte
erzählt wird, verbringen auf einem Hausboot einen Sommer in
Caputh bei Berlin, wo Einstein ein Sommerhaus besaß.
Anselm ist von der Idee geradezu
besessen, Einstein könnte im Templiner See bei Caputh in einer
Truhe einen wertvollen Schatz an physikalischen Forschungsergebnissen
versenkt haben, bevor er im Januar 1933 vor den Nationalsozialisten
in die USA floh. Der Sommerurlaub zu dritt gestaltet sich von Beginn
an als spannungsreich, da Gesine lieber auf Bali als in Caputh ihren
Sommer verbracht hätte. Zudem ist Anselm so stark von seiner
Schatzsuche gefangen, dass er wenig Rücksicht auf
zwischenmenschliche Empfindlichkeiten und die Bewältigung
alltäglicher Aufgaben nimmt. Aber es geht nicht nur um Gefühle,
sondern auch um Möglichkeiten der Sexualität, um Bilder der
Liebe, um lebensnahe Beziehungen zwischen Männern und Frauen
sowie um das Selbstverständnis des männlichen und
weiblichen Geschlechts.
Bernie lotet dabei sein Verhältnis
zu Anselm aus, untersucht Stärken und Schwächen des
Freundes sowie Erinnerungen aus frühesten Schultagen. So
entstehen vor den Augen der Leser sensible, analytische und mitunter
lakonisch angehauchte Charakterstudien der Protagonisten, die Bezüge
zu Woelks Amerikanische Reise (1996) und Liebespaare
(2001) aufweisen. Es werden wie bereits in Woelks früheren
Werken Fragen nach den Möglichkeiten menschlicher
Freiheit und dem Sinn menschlicher Existenz aufgeworfen: Ist der
Mensch wirklich zur Freiheit berufen im Sinne einer Fähigkeit zu
eigener Entscheidungskraft, oder spult sich das menschliche Leben
naturgesetzlich und deterministisch ab?
Abschließend lässt sich zu
dieser vielschichtigen Novelle feststellen, dass, so unterhaltsam und
einfach lesbar die Sommererzählung Woelks auch ist, der Leser
zugleich entlang eines Grabens spannungsreicher Unabwägbarkeiten
geführt wird, und zwar von Geschichte und Gegenwart, Macht und
Ohnmacht, Recht und Unrecht, Philosophie und Theologie, Musik und
Literatur, Freundschaft und Verrat, Liebe und Hass, Wirklichkeit und
Illusion, die allesamt verknüpft sind mit einer einzigen Figur
mit der Person des schwäbischen Menschenfreundes Albert
Einstein