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Das Rätsel des Opfers
Erotik der Physik
Lena Bodewein
Heute vor 50 Jahren starb Albert Einstein. Der Nobelpreisträger war nicht nur ein genialer Wissenschaftler, sondern auch ein Frauenheld, so viel ist bekannt. Aber dass die Theorien des Physikers nicht nur in seinem eigenen, sondern auch generell in der Liebe funktionieren, das zeigt Ulrich Woelk in seiner Sommer-Erzählung "Einstein on the Lake".
Der Jurist Anselm Stöckl taucht ab, tief in den Templiner See in Brandenburg, dort, wo Einstein sein Sommerhaus hatte. Denn er meint, einem großen Geheimnis auf der Spur zu sein: "Dort unten liegt Einsteins Vermächtnis oder die Weltformel oder die Erklärung für alles. Und ich bin der einzige, der weiß, wo." Anselm ist der festen Überzeugung, dass der Jahrhundertphysiker seine Aufzeichnungen vor seiner Emigration in einer wasserfesten Kiste im Templiner See versenkt hat. Und er ist wild entschlossen, diesen Schatz zu bergen
Während die Figur Anselm ins Wasser geht, taucht der Autor Ulrich Woelk mit seiner Erzählung in Einsteins Theorien ab. Denn die gelten anscheinend nicht nur für die Naturwissenschaft, sondern ebenso für die Liebe. Anselm hat nämlich auch eine sehr attraktive Ehefrau, Gesine, und einen besten Freund, Bernie. Diese beiden Versuchspersonen lässt Woelk wie in einem Experiment die Physik der Liebe untersuchen. "Bernie", sagte Gesine belehrend, "nur Experimente bringen die Menschheit weiter - das hat Einstein bewiesen. Außerdem finde ich, dass man für alles offen sein muss. Und im übrigen haben wir ein Recht darauf zu erfahren, weshalb es uns nicht gelingt - obwohl wir uns seit Jahrhunderten darum bemühen -, einander als Individuen treu zu sein. Ich denke, eine wissenschaftliche Erklärung dafür würde vieles vereinfachen. Wenn man wüsste, dass es nicht anders geht, könnten sich viele Paare eine Menge Tränen und Hass sparen."
Quasi im Dienste der Wissenschaft und der Menschheit beginnen die beiden ein Verhältnis. Denn während Anselm im See Einsteins Vermächtnis sucht, sind die beiden auf dem See allein miteinander - "Einstein on the lake" eben. Passenderweise hören sie zusammen Philip Glass’ Musical "Einstein on the beach", derweil passiert, was passieren muss: "Meine Hände lagen auf ihren Hüften, und sie ließ sich so leicht bewegen, als hätte sich ihre Masse in Energie zurückverwandelt ... Sie beugte sich mir entgegen, die Gravitation zog an ihren Brüsten, und ihr schönes, hochmütig alterndes Gesicht flackerte vor Sehnsucht nach Befriedigung. Dehnt sich die Zeit in solchen Momenten?"
Ein interessanter Versuch, Erotik und Physik zu kombinieren. Zeit und Raum verschwimmen langsam; Gesine und Bernie erleben sozusagen Einsteins Theorien nach. "Vielleicht ist er deswegen zur Legende oder zum Propheten geworden, weil sich herumgesprochen hat, dass seine Theorie den Zeitbegriff irgendwie verändert. Wer mit der Zeit herumhantiert, hantiert mit unserem Bewusstsein herum - und irgendwie mit unseren Seelen."
Autor Woelk ist selbst gelernter Naturwissenschaftler. Sein Blick auf das Liebesexperiment rund um Einsteins Theorien ist nüchtern und kühl. Oft auch der seiner Probanden. Für Gesine zum Beispiel ist ihr Ehebruch lediglich die Konsequenz aus physikalischen Gesetzmäßigkeiten - und damit überhaupt keine Überraschung: "Denk doch mal drüber nach, Bernie! Die Energie des riesigen dunklen Universums ist also in Masse gebunden, das hat Einstein rausgefunden. Und wie ist es mit uns? Mit unseren Seelen? Mit unserer Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft? Unsere Energie ist in Ehen gebunden, so sieht’s aus. Und wie bei Atomen gewinnt man sie erst bei der Spaltung zurück". Teilweise werden bei einer solchen Spaltung aber Energien freigesetzt, die schwer zu kontrollieren sind. Und so beherrscht und logisch Gesine die Situation betrachtet, so fatal endet die Geschichte. Der Ich-Erzähler Bernie fragt zum Schluss resigniert: "Warum gibt es nie eine Lösung für Fälle, in denen Leidenschaft im Spiel ist?" Da hilft ihm auch Einstein nicht. Aber zumindest für den Leser war das Experiment sehr interessant. Nur die Weltformel, die bleibt leider immer noch unauffindbar