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Schildknappen des Kapitalismus
Stephan Reinhardt
Der Astrophysiker und Schriftsteller Ulrich Woelk erzählt in seinem Debütroman „Freigang" in der Form eines Puzzle-Spiels mehreres auf einmal: Die Geschichte einer Liebe und eines Vater-Sohn-Verhältnisses. Zugleich stellt er, ebenso ironisch wie kurzweilig, die spannungsreiche Beziehung zwischen einem Naturwissenschaftler und einem Künstler dar - in einer Person. Solche kompositorische Fertigkeit wiederholt Ulrich Woelk in seinem zweiten Roman „Rückspiel“. In einer dichten Verbindung von Zeiten, Generationen und Wahrnehmungsperspektiven berichtet er vom Lebensgefühl der auf die Achtundsechziger folgenden Generation der Startbahngegner, von deren Identitätssuche und von den großen -Schatten, die der Nationalsozialismus auf die Bundesrepublik geworfen hat und noch immer wirft.
In „Amerikanische Reise", seinem neuen Roman, wechselt Ulrich Woelk in die unmittelbare Gegenwart der neunziger Jahre und in ein Romanpersonal, das nichts mehr im Sinn hat mit der NS-Zeit, mit „Hitlers willigen Vollstreckern", mit 1968 oder Startbahngegnern. Um so mehr dafür mit Reisen, Bankgeschäften, Immobilien und einer unbekümmerten Lebenslust. Woelk wählt in seiner „Amerikanischen Reise“ wieder einen kompositorischen Rahmen, der die Spannung bis zuletzt garantiert. In drei Kapiteln und einem Epilog erzählt Woelk die Geschichte von Jan und dessen Freunden Kristin und Walter, die in New York leben. Es wird viel gereist in der „Amerikanischen Reise“, und das dabei von Woelks Protagonisten Wahrgenommene und Erlebte - Menschen, amerikanische Orte, Sitten und Gebräuche - beschrieben. Streckenweise gleicht der Roman einem erzählten Road movie, der, wie Woelk in einem seiner essayistischen Einschübe ironisch anmerkt, „einzig originären Erfindung der US-Kultur".
Ein Road movie, fügt Woelk definierend hinzu, erzählt „von einer Bewegung, aber von einer freien, einer Bewegung, deren Richtung sich bei jeder Kreuzung ändern läßt, ohne Vorgaben“. Diese Definition trifft auch zu auf den „amerikanischen Traum", jene einfache, von der Einwanderermentalität abgeleitete Spruchweisheit, daß in Amerika jeder entweder zum Erfolg verdammt sei oder untergehen müsse.
Mit diesem amerikanischen Mythos vom Erfolg hält es auch Jans Freund Walter. Beschäftigt bei einer New Yorker Bank, träumt er den Traum vom erfolgreichen Broker: Er will hinauf ins Finanzmanagement und mißbilligt, daß seine Frau Kristin, eine vielversprechende Mathematikerin, ihre Zeit mit dem Betreiben einer Kunstgalerie verbringt. Woelk macht Walter zum ideologischen Schildknappen des real existierenden Kapitalismus. Nach Walters Meinung ist der Kapitalismus die beste Gesellschaftsform, denn der ihm zugrunde liegende freie Markt sorge für einen Grad von Verteilungsgerechtigkeit, wie es ihn noch nie in der Weltgeschichte gegeben habe, jeder „Gängelung innovativer Vernunft" überlegen, jeder Gängelung beispielsweise durch Gewerkschaften.
Für Jan ist dieser Glaube Walters zu simpel angesichts der Tatsache, daß „die Welt komplex ist". Woelks in Rollenprosa durch den Mund seiner Figur Jan geäußerte Kapitalismuskritik schließt eine eruptive „Abrechnung" mit den USA ein, mit einer „Müll- und Verschwendungsgesellschaft", mit der „prüden Gesellschaft" christlicher Fundamentalisten, deren gesellschaftliche Unterdrückung der Sexualität sich in wachsender Gewalt ein Ventil suche.
Andererseits: Woelks Amerika-Bild ist keineswegs nur negativ. Er hat seine Figur Jan mit amerikanischem Lebensgefühl ausgestattet, mit dem sympathischen Gefühl, daß es für einen Neuanfang nie zu spät ist. Dann wiederum hat Woelk in Jan den Vertreter einer Generation porträtiert, die sich cool und nüchtern gibt, die große Gefühle wie Liebe und Haß für eine, so Woelk, Erfindung von „Radikalethikern" und „Emotionsterroristen" hält. Woelks literarischen Road movie „Amerikanische Reise", in dem die Silhouette von New York und Chicago, der Highways, Motels, Drugstores und Snack-Bars -vorüberzieht, erhält Bodenhaftung nicht nur durch eine konkrete Sprache und gute Dialoge, sondern auch durch essayistische, philosophische Betrachtungen. Woelk erzählt das alles intelligent und so unterhaltsam wie seinen ganzen Roman.