Am Sonntag vor Pfingsten wird eine junge Frau tot im Garten eines freikirchlichen Gemeindehauses gefunden. Sie ist nackt wie auf einem Opferstein aufgebahrt, und in ihrem aufgesägten Schädel befindet sich ein Zettel mit den Worten: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“
In der Öffentlichkeit geht man davon aus, der Täter sei ein religiöser Fanatiker. Kriminalkommissar Anton Glauberg, der mit Religion nicht viel anfangen kann, führen die Ermittlungen von der nordfriesischen Pfingstgemeinde zu Hamburger Prostituierten und Tätowierern, zu einem Professor für Neurobiologie und zum schleswig-holsteinischen Bildungsministerium in Kiel. Er entdeckt, wie sich fanatische Prediger und Wissenschaftler mit Worten bekriegen. Dabei geht es um persönliche Eitelkeiten, Einfluss und Geld und Fragen wie: Wer verkündet die Wahrheit von der Entstehung und den Gesetzmäßigkeiten des Lebens? Macht die Religion oder die Wissenschaft uns frei? Hat der Mensch überhaupt einen freien Willen, oder ist alles von Gott oder den Genen vorherbestimmt? Ist Wissenschaft heute unsere Staatsreligion, wie ein evangelikaler Prediger behauptet? Und wie sehr wird unsere Gesellschaft von religiösen Fundamentalisten heute und in Zukunft unterwandert?
Der Berliner Schriftsteller Ulrich Woelk veröffentlicht seit den neunziger Jahren zeitgemäße Romane, die in die deutsche Geschichte und Gegenwart eintauchen. Er erzählt präzise beobachtet und in klarer Sprache von Verletzungen und dem Umgang damit. In seinem neuem Roman „Pfingstopfer“ fragt sich Anton Glauberg, wann und warum sein Leben so aus den Fugen geraten ist. Seine Frau Sylvia befindet sich in der Psychiatrie, nachdem sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Zu seinem Sohn Felix hatte er noch nie einen guten Draht, jetzt soll dieser wegen Dealens von der Schule verwiesen werden. Und dann taucht an dem Sonntag vor Pfingsten auch noch Paula Reinhardt wieder auf. Vor etwas mehr als zehn Jahren hatte sie seinen Halbbruder Hans erschossen. Hans war Terrorist, Paula BKA-Beamtin.
Als er Paula wiedersieht, brechen alte Gefühle zwischen Begehren und Angst in Glauberg auf. Sie gefällt ihm immer noch als Frau und er fühlt sich ihr nahe. Beide wuchsen ohne Vater auf, ihre gemeinsame Geschichte verbindet sie und beide sind alles andere als lupenreine Polizisten.
Eine Woche nachdem die Leiche im Kirchgarten entdeckt wurde und nach einem spannenden Showdown ist der Spuk vorbei. Ob das Motiv des Mörders plausibel ist, muss jeder Leser für sich entscheiden, fesselnd bleibt der Roman bis zum Schluss. Und offen bleibt, wie unsere Gesellschaft dem Bedürfnis nach Religiösität entgegenkommen kann und wie wortgetreu religiöse Schriften ausgelegt werden sollten, um in unseren Wertekanon zu passen und zugleich von Gläubigen ernst genommen werden zu können.