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Es führt ein Weg zurück
Peter Henning
Er hat es noch einmal getan, ist noch einmal zurückgekehrt an die Schauplätze von damals, zurück zu Anton Glauberg, dem Protagonisten seines 2002 erschienenen Romans "Die letzte Vorstellung", um zu Ende zu bringen, womit er einst in der norddeutschen Provinz begann: die Geschichte hinter der Geschichte zu erzählen.
Auch damals, vor nunmehr dreizehn Jahren, begann alles mit einem Mord, der die Provinzler aus ihrem Dämmerschlaf riss. Das Opfer war ein ehemaliges Mitglied der Roten-Armee-Fraktion RAF Glauberg, der lokale Kriminalbeamte, sah sich mit dem Mord zu einer zumindest gedanklichen Reise in die Vergangenheit gezwungen, zurück in den sogenannten Deutschen
Herbst, um zu entschlüsseln, was es mit der Ermordung des Ex-RAFlers auf sich hatte. Denn die Erklärung für den Mord, das begriff Glauberg damals sehr schnell, war, wenn überhaupt, nur in der Geschichte zu finden. Begleitet auf seiner Reise in jene Zeit, in der RAF-Terroristen reihenweise in der DDR Unterschlupf fanden und eine neue Identität annahmen, wurde Glauberg damals von seiner Kollegin Paula Reinhardt. Eine junge quecksilbrige Frau, die nun in Woelks neuem mitreissenden Roman "Pfingstopfer" zur heimlichen Protagonistin der Erzählung wird.
Ulrich Woelk, 1960 in Köln geboren, zählt seit Erscheinen seines viel gefeierten Debütromans "Freigang"
von 1990 zu den bedeutendsten deutschsprachigen Erzählern seiner Generation. Bücher wie
"Amerikanische Reise" (1996), "Liebespaare" (2001) sowie drei Naturwissenschaftler-Novellen folgten.
Trotzdem geriet der ausgebildete Astrophysiker ein wenig aus dem Blickfeld. Erst mit seinem Roman "Was Liebe ist" von 2012 fand
der detailverliebte Könner zurück ins breitere Rampenlicht.
Und nun das! Ein mit allen Ingredienzien des klassischen Kriminalromans gesegneter Stoff, der zeigt, wie rasant, wie anspruchsvoll
und dabei unterhaltsam ein Buch sein kann, das seinen Stoff und seine Leser ernst nimmt. Und mag man "Pfingstopfer" auch als eine Art
Fortsetzung von "Die letzte Vorstellung" lesen, so steht das Buch genau betrachtet doch auch ganz für sich.
Wieder beginnt alles mit einem Mord, diesmal mit der bizarr inszenierten und offenbar religiös motivierten Tötung
einer Prostituierten, und erneut sieht sich Glauberg einer Fülle zu lösender Ratsel gegenüber.
Doch als eines Nachts seine ehemalige Berliner Kollegin Paula Reinhardt, die unterdessen selbst wegen Mordes im Gefängnis sass,
vor seiner Tür sitzt, beginnen sich für Glauberg Gegenwart und Vergangenheit auf gefahrvolle Weise miteinander zu verbinden.
Und was als klassische Krimistory beginnt, das weitet sich zu einem hochkomplexen Verwirrspiel der Emotionen.
Ulrich Woelk ist mit "Pfingstopfer" ein grosser, im Gewand des Kriminalromans daherkommender
Gesellschaftsroman geglückt, der einen faszinierenden Clash zwischen religiösem Fundamentalismus
und den neusten Erkenntnissen der Hirnforschung inszeniert, und er tut es mit den Mitteln des souveränen Erzählers.